Erste Lehrpraxis für angehende Fachärzte in Kirchdorf/Krems

Eine Lehrpraxis ermöglicht Ärzten außerhalb eines Krankenhauses Erfahrung zu sammeln und einen Teil ihrer Ausbildung in einer Ordination zu absolvieren. Auch angehende Fachärzte für Orthopädie und Traumatologie dürfen diese Chance nutzen. Insgesamt gibt es in Oberösterreich nur zwei derartige Lehrpraxen. Eine davon gibt es ab sofort in Kirchdorf/Krems.

Normalerweise werden Fachärzte in einer Klinik ausgebildet, allerdings dürfen auch angehende Orthopäden und Traumatologen seit einiger Zeit einen Teil ihrer Ausbildung in einer Ordination absolvieren. Das Konzept der Lehrpraxis bietet die Rahmenbedingungen dafür. Dabei geht es um mehr, als nur um Praxisluft schnuppern, denn direkt vor Ort können die angehenden Fachärzte mit dem medizinischen Aufgabengebiet in der freien Praxis in Berührung kommen und nicht nur hands-on Medizin praktizieren, sondern auch fundierte Einblicke in das komplexe Kassensystem bekommen. Dabei können nicht nur ökonomische und unternehmerische Erkenntnisse über eine Ordination gewonnen werden, sondern auch die medizinische Tätigkeit außerhalb einer Klinik unter geschützten Bedingungen erlernt werden. Das sperrige Worte Sonderfachschwerpunktausbildung subsummiert diese Punkte.

„Ich bin erst der zweite in Oberösterreich, der eine Bewilligung für diesen Fachschwerpunkt von der Österreichischen Ärztekammer erhalten hat.“

Dr. Söllinger Wolfgang in Kirchdorf/Krems, selbst Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie ist seit kurzem Lehrpraxisinhaber und hat damit die Berechtigung zur postpromotionellen Ausbildung (Anmerkung: die Ausbildung nach dem Medizinstudium) von Assistenzärzten erworben. „Ich bin erst der zweite in Oberösterreich, der eine Bewilligung für diesen Fachschwerpunkt von der Österreichischen Ärztekammer erhalten hat“, erklärt er. Im Fachgebiet der Orthopädie und Traumatologie ist diese Ausbildungsform noch ungewöhnlich, der engagierte Mediziner geht allerdings aus Überzeugung einen anderen Weg. „Den niedergelassenen Bereich mit in die Ausbildung einzubeziehen ist ungemein wichtig. Wir können hier einen enormen Kompetenzerwerb für angehende Fachärzte am Ort des Geschehens ermöglichen und auch die Hemmschwelle später mal eine Kassenordination zu übernehmen, senken“, ist Söllinger überzeugt.

Für Lehrpraktikanten, die bis zu 12 Monate im Rahmen ihrer Ausbildung in der Facharztordination von Dr. Söllinger bleiben dürfen, gibt es jeden Tag Praxis pur. Beschwerdebilder und Diagnosen, die Assistenzärzte vorher oft nur aus Lehrbüchern kannten sind tägliche Realität und machen das Aufgabengebiet ungemein spannend. Der engagierte Mediziner Söllinger ist erklärter Fan des „Buddy-Systems“: „Irgendwann hat man als Facharzt die bestmögliche Qualität und die optimale Erfahrung. Es wäre eine Verschwendung, mein Wissen nicht weiterzugeben. Ich will junge, motivierte und theoretisch brillante Kollegen mitnehmen auf die Reise, Theorie in die Praxis umzusetzen.“ (Anmerkung: das Buddy-Prinzip beruht darauf, dass zur Absicherung und Kontrolle immer ein erfahrener Partner, sprich Buddy, an der Seite eines noch Auszubildenden ist und findet nicht nur in der medizinischen Ausbildung, sondern auch beim Sporttauchen oder Militär seine Anwendung.)

„Damit ist die Möglichkeit eines dynamischen Lernprozesses gegeben, beständiges Zuhören und Zusehen, kontinuierliche Fallbesprechungen sowie gemeinsame Kongress- und Fortbildungsbesuche sind für mich obligat.“

Wer zu ihm zur Ausbildung kommt, muss zunächst mindestens einen Tag zusehen und die Arbeit am Empfang und die Abläufe in der Ordination verstehen lernen. Nach und nach wächst der Auszubildende dann in die fachärztliche Arbeit hinein. Je nachdem welche Vorkenntnisse schon vorhanden sind, dürfen Entscheidungen getroffen, Untersuchungen durchgeführt, Empfehlungen ausgesprochen und in weiterer Folge Patienten selbständig behandelt werden. Eigentlich wie ein Assistenzarzt in der Klinik auch, mit dem Benefit, dass ein erfahrener Facharzt eine Tür weiter sitzt und vom Lehrpraktikanten ständig zu einem Fall hinzugezogen werden kann. „Damit ist die Möglichkeit eines dynamischen Lernprozesses gegeben, beständiges Zuhören und Zusehen, kontinuierliche Fallbesprechungen sowie gemeinsame Kongress- und Fortbildungsbesuche sind für mich obligat,“ erklärt Söllinger.

Es fordert mich heraus, ständig nach den neuesten Fachleitlinien zu behandeln und auszubilden. Es bringt einen Hauch von Wissenschaft und Universität in meine Praxis.

Ausbildner Söllinger hat sich damals ganz bewusst für das Fachgebiet Orthopädie und orthopädische Chirurgie entschieden und hatte in seiner Ausbildung die Chance, von den Besten zu lernen. Von Paris bis Wien, von Gmunden bis Oxford sowie in den USA hat er sein Profil geschärft. Dr. Söllinger ist überzeugt, dass er trotzdem vom Wissenshunger junger Assistenzärzte profitieren kann: „Es fordert mich heraus, ständig nach den neuesten Fachleitlinien zu behandeln und auszubilden. Es bringt einen Hauch von Wissenschaft und Universität in meine Praxis“, begründet er seine Einstellung und ist davon überzeugt, dass es erforderlich ist, die eigene Arbeit immer wieder zu hinterfragen. Idealismus ist auf jeden Fall dabei, denn in seiner Ordination ist der Horizont weit. Nicht nur weil künftig Fachärzte ausgebildet werden, sondern weil Praxis und Wissenschaft miteinander im Einklang stehen, hochmoderne Verfahren finden genauso Anwendung wie Heilverfahren die ihre Wurzeln in der traditionellen chinesischen Medizin finden. „Als engagierter Orthopäde in der Niederlassung kann man sich selber ein Behandlungskonzept zusammenstellen, dass für den Patienten passt und das man selbst gut findet“, so sein Statement.

Um überhaupt eine Lehrpraxis für Orthopädie und Traumatologie zu leiten, muss eine Ordination ein weitreichendes Leistungsspektrum aufweisen, eine von der Ärztekammer definierte Patientenfallzahl erreicht werden und sowohl ökonomische und technische Voraussetzungen gegeben sein. Es ist mehrjährige Berufserfahrung erforderlich und eine zusätzliche Ausbildung zum Lehrpraxisleiter muss absolviert werden.

Was man lernen kann?

Von der komplexen Tumorabklärung über eine neuraltherapeutische Intervention bis hin zum verknacksten Wirbel und wieder zurück in nur einem halben Tag. Aber vor allem viel über die richtige Einstellung zum Beruf.